Wie entkommen wir dem Palmöl-Dilemma?

Von essenzielles
Nachhaltigkeit

Sämtliche Produkte der Marke Ja!Natürlich sind jetzt palmölfrei. Der Konsument applaudiert, Rewe freut sich über ein kräftiges Absatzplus. Mitbewerber Spar will bis Ende 2018 Palmöl aus sämtlichen Eigenmarken verbannen. Wir sehen ein solches Palmöl-Bashing allerdings mehr als kritisch. Wird das Problem damit doch nicht behoben, sondern nur verschoben.

Wir ziehen faktenbasierte Diskussionen emotionsgeladenen vor

Wer schon einmal wie wir in Sumatra durch die schier unendlichen Palmölplantagen gefahren ist, wird natürlich emotional berührt. Auch uns lässt der Raubbau an der Natur nicht kalt. Im Gegenteil – nachhaltige Ernährung und der schonende Umgang mit den wertvollen Ressourcen unserer Erde sind uns ein Herzensanliegen.

Gerade deshalb versuchen wir hier das Thema mit all seinen Aspekten sachlich zu diskutieren. Wir stellen in diesem Blogeintrag die kritische Frage, ob ein gänzlicher Verzicht von Palmöl in Ermangelung an brauchbaren Alternativen wirklich erstrebenswert und im heutigen Alltag überhaupt machbar ist.

Das Forum Ernährung Heute (f.eh) bat erst kürzlich im Rahmen des f.eh-Dialogs „Reden wir über Palmöl“ [1] Experten aus verschiedenen Bereichen, die aktuellen Fakten über das heiß diskutierte Fett auf’s Tapet zu bringen.

Palmöl begleitet uns vom Teller bis zum Tank

Woran denken Sie spontan beim Thema Palmöl? Nuss-Nougat-Aufstrich? Oder Margarine? Doch wussten Sie, dass uns dieses Fett von der Morgentoilette bis zum abendlichen Dessert bzw. wie es einer der Referenten beim f.eh-Dialog so trefflich formulierte „von der Wiege bis zur Bahre“ begleitet?

Es findet sich nicht nur in Babycreme und Grab-Öllicht, sondern auch in Zahnpasta, Hautpflegeprodukten, Lippenstiften, Seife genauso wie in Wasch- und Putzmitteln sowie Bio-Diesel. In knusprigen Croissants, heißgeliebter Pizza, traditionsreichen Keksen, verführerischen Pralinen, cremigen Aufstrichen oder Margarine sowieso.

Wer wirklich konsequent palmölfrei leben will, wird wohl auf sehr Vieles verzichten müssen, was aus dem alltäglichen Leben mittlerweile nicht mehr wegzudenken ist.

Wissenswerte Fakten zu Palmöl

  • Palmöl ist das meist genutzte Pflanzenöl der Welt und hat einen Anteil von rund 43 % an der gesamten Ölmenge.
  • Indonesien und Malaysien sind immer noch die Hauptanbaugebiete. 85 % des weltweit erzeugten Palmöls stammen aus diesen beiden Ländern. Afrika und Mittelamerika ziehen mittlerweile nach.
  • Problematisch für die Umwelt ist nicht nur die Rodung der artenreichen Regenwälder. Hinzu kommt die Trockenlegung von Torfböden. Torf speichert sehr viel Kohlenstoff, der beim Trockenlegen freigesetzt wird. Dadurch ist z. B. Indonesien derzeit der viertgrößte Emittent an Treibhausgasen weltweit.
  • Zwei Drittel des gesamten Palmöls werden in Asien selbst verbraucht – vor allem in Indien und China. Dort ist es immer noch DAS Kochfett schlechthin. Es ist billig und überall verfügbar.
  • Im Vergleich zu anderen Fetten/Ölen ist der Anbau von Palmöl deutlich flächenschonender – siehe Abbildung 1. Eine Ölpalme bringt einen 5x höheren Ertrag pro Hektar als eine Kokospalme. Würde man Palmöl gänzlich verbannen und stattdessen Soja- oder Kokosöl, Kakao- oder Sheabutter den Vorzug geben, müsste noch ungleich mehr Land gerodet werden.
Abb. 1: Ölerträge pro Hektar Land, Quelle: Auf der Ölspur – Berechnungen zu einer palmölfreien Welt, WWF 2016 [2]
  • Nur 11 % der weltweit produzierten Menge wandern in die EU. Das meiste davon (42 %) wird zu Bio-Sprit verarbeitet. Etwa ein Drittel verwendet die Lebensmittelindustrie, ein Viertel wird für Waschmittel, Kosmetika und die Schweinemast eingesetzt. Für Deutschland wurde ein jährlicher pro-Kopf-Verbrauch von 13 kg über Konsumgüter (Lebensmittel, Kosmetika, Wasch- und Reinigungsmittel) plus 9,7 kg über Bio-Sprit berechnet [3] .
  • Mehr als 40 % der Palmölmenge in Lebensmitteln werden bei uns in Form von Backwaren, Pizza, anderen Fertigprodukten und Knabbergebäck gegessen.
  • Hinsichtlich der kritischen Rückstände aus der Fettproduktion, die lange Zeit besonders bei Palmöl ein Thema waren, gibt es mittlerweile für die Konsumenten (Ausnahme Vielverbraucher von Palmöl) Entwarnung seitens der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit [4] . Aufgrund verbesserter Technologien sei der Gehalt an sogenannten Glycidyl-Fettsäureestern deutlich zurückgegangen. Besonders bei Babynahrung achtet man derzeit mit Argusaugen darauf, dass die Werte im absolut grünen Bereich bleiben. Palmöl wird hier deshalb zugegeben, weil die enthaltene Palmitinsäure auch in Muttermilch vorkommt.

Abb. 2: Verbrauch von Palmölen für einzelne Konsumgüter bzw. Konsumgütergruppen in Deutschland, 2013. Quelle: Auf der Ölspur – Berechnungen zu einer palmölfreien Welt, WWF 2016

Wir Konsumenten tragen mit Schuld

Sucht man nach „Schuldigen“ für die allgegenwärtige Verwendung von Palmfett, muss auch der Konsument vor der eigenen Türe kehren.

Jahrelang wurden gehärtete Pflanzenfette aufgrund der schädlichen Transfettsäuren verteufelt. In Österreich ist mittlerweile mittels Transfettsäure-Verordnung die Herstellung von Lebensmitteln mit einem Gehalt von mehr als 2 % Transfettsäuren verboten.

In der öffentlichen Diskussion wurde leider nicht zwischen teilgehärteten (die „Bösen“) und durchgehärteten Fetten (so gut wie keine Transfette) unterschieden. Somit griff die Industrie als einzig brauchbare Alternative zu Palmfett, welches von Natur aus bei Zimmertemperatur cremig-fest bleibt und nicht erst gehärtet werden muss. Da wurde offensichtlich der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.

Palmöl ist aufgrund seiner besonderen Streich- und Backeigenschaften in der Herstellung von Teigen und Cremen besonders beliebt. Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht punktet es im Vergleich zu anderen festen Fetten, wie z. B. Kokosfett, sogar mit mehr ungesättigten Fettsäuren.

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Wir sehen Palmöl-Boykott kritisch

Da wie eingangs beschrieben wahrscheinlich auch Sie in Ihrem Badezimmer, Ihrer Küche und Ihrem Putzschrank von reichlich Palmöl umgeben sind, ist ein gänzlicher Verzicht nur sehr schwer möglich. Außerdem muss man sich dabei fragen: Welche Fette werden bei Alternativ-Produkten verwendet und wie werden diese angebaut?

Aus ökologischer Sicht ist Palmöl weniger bedenklich als andere Fettquellen. Denn alle anderen Pflanzenfette sind weniger ertragreich. Alternativen wie Raps-, Sonnenblumen-, Soja- oder Kokosöl nehmen noch mehr Fläche in Anspruch, was den Druck auf die Natur und die weltweite Nahrungsmittelproduktion weiter erhöhen würde.

Hinzu kommt, dass konventionell hergestelltes Raps- und Sonnenblumenöl bei uns natürlich nicht pestizidfrei angebaut werden kann. Mit der Folge, dass bereits 75 % der Biomasse an Insekten verschwunden sind.

Auch die so oft alternativ verwendete Butter steht auf verlorenem Posten. Denn bei dieser müssen der Wasser- und Futtermittelaufwand (häufig mit Soja aus Südamerika) sowie die Treibhausgas-Emission durch Tierhaltung in die ökologische Waagschale gelegt werden.

Sogar der World Wide Fund For Nature (WWF) warnt seit 2015 vor einem Palmöl-Boykott. Zu groß sei dabei die Gefahr, dass durch den Schwenk zu Fett-Alternativen noch mehr Natur zerstört werde. Nicht zu vergessen: 40 % des Palmöls wird von Kleinbauern angebaut, deren Existenz gesichert werden muss. Schulungen über effizienten und damit geringeren Düngereinsatz, besseres Saatgut sowie eine erhöhte Nachfrage nach Bio-Palmöl würden viel mehr Sinn machen.

Palmöl10 essenzielle Tipps, um sinnvoll mit Palmöl umzugehen

  1. Bevor Sie über Alternativen nachdenken, versuchen Sie generell weniger Fett zu verwenden. Wer auf der Fettbremse steht, tut nicht nur der Umwelt, sondern auch seiner Gesundheit und Taille Gutes.
  2. Es muss nicht jeden Tag ein Croissant sein: Greifen Sie seltener zu „süßen Fettigkeiten“, wie Keksen, Süßwaren, Plunder und Co. Backen Sie selbst und lassen Sie 1/3 der Fettmenge einfach weg. Selbst gemachte Marmelade schmeckt mindestens genauso gut auf’s Brot wie Nuss-Nougat-Creme. Strudel- oder Germteig enthalten beispielsweise nur einen Bruchteil der Fettmenge von Blätterteig.
  3. Kochen Sie möglichst oft selbst und verwenden Sie nur selten hoch verarbeitete Produkte.
  4. Wann immer es das Börsel erlaubt, zu Bio-Produkten greifen. Kaufen Sie entweder Bio-Butter (kein Soja aus Übersee) oder Bio-Margarine, die mit Bio-Palmöl oder zumindest mit zertifiziertem Palmöl hergestellt wurde. Auch bei heimischen Ölen lohnt sich natürlich der Griff zum Bio-Produkt.
  5. Versuchen Sie, möglichst regional und saisonal einzukaufen und weniger Lebensmittel wegzuschmeißen. Sonst landet womöglich unnötig viel Palmöl im Müll.
  6. Erkundigen Sie sich bei Ihren Lieblingsprodukten, ob der Hersteller zumindest zertifiziertes Palmöl verwendet. Es ist derzeit laut WWF die einzige Möglichkeit, die Situation in den Anbauländern zu verbessern.
  7. Halbieren Sie die Waschmittelmenge. Vergessen Sie die Angaben auf den Packungen, denn meist sind die Dosierempfehlungen viel zu hoch. Sie werden sehen, dass Ihre Wäsche trotzdem sauber wird und gut riecht. Ähnliches gilt für Putzmittel.
  8. Eine erbsengroße Menge Zahnpasta reicht zum Zähneputzen, das Gesicht kann man wunderbar mithilfe eines speziellen Mikrofasertuchs nur mit klarem Wasser reinigen. Horten Sie nicht unnötig Cremen und Lotions, die Sie dann erst nicht verwenden.
  9. Muss es immer das Auto sein? Fahren Sie längere Strecken nach Möglichkeit ganz entspannt und staufrei mit dem Zug, besonders kurze mit dem Rad.
  10. Gerade in Knuspermüslis stecken oft beträchtliche Palmölmengen. Greifen Sie dort am besten zum Bio-Produkt, damit Bio-Palmöl verwendet wurde. Oder bereiten Sie Ihr Knuspermüsli nach unserem essenziellen Rezept selbst zu, welches mit viel weniger Fett auskommt. Am besten wäre natürlich normales Basismüsli, welches gar kein zugesetztes Fett enthält.

Nachtrag Dezember 2019: Kürzlich konnten wir uns nun auch auf Borneo einen persönlichen Eindruck von den immer weiter wachsenden Palmölfeldern und dem schrumpfenden Lebensraum für Orang-Utans machen. Es war ein berührendes Erlebnis, unsere “Verwandten” in freier Natur zu beobachten. Wer sich näher interessiert, dem legen wir die Organisation BORNEO ORANGUTAN SURVIVAL SCHWEIZ sehr ans Herz. Diese versucht unermüdlich, die letzten Borneo-Orang-Utans zu schützen und ihres Lebensraum zu erhalten. Eine Reise in den Urwald Kalimatans können wir jeden nur wärmstens empfehlen.

Palmöl

Text-Quellen: WWF, f.eh-Dialog-Palmöl

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2 Kommentare

Florian Schäfer 10. August 2022 - 10:39

Interessanter Artikel, vielen Dank dafür! In der Grafik steht Sonnenblumenöl mit 0,7t/ha vs. Palmöl 3,3 Weiter unten wird empfohlen Knuspermüsli mit Sonnenblumenöl statt Palmöl zu kaufen.

Wie ist dieser Widerspruch zu erklären?

Aus der Grafik entsteht der Eindruck: Am besten wenig fett/Öl essen und wenn dann ist (bio-)Palmöl das ökologisch beste. oder wie lautet die Empfehlung?

Antworten
essenzielles 10. August 2022 - 11:14

Schön, dass unser Artikel gefällt! Danke für den Hinweis. Das konnte tatsächlich missverstanden werden und wir haben den Tipp beim Knuspermüsli geändert. Die wichtigste Empfehlung lautet ganz klar: Fett – egal welches – sparsam einsetzen.

Antworten

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